Proximity Bias – eine Gefahr für die Karriere?
Kostenlose Lebenslauf-Analyse4 Min. Lesezeit. Aktualisiert am April 08, 2025
In diesen Tagen jährt sich der Beginn der COVID19-Pandemie zum 5. Mal. Durch die sanitäre Krise war das Leben der Menschen weltweit aus den Fugen geraten: einschneidende Vorschriften, Social Distancing, Stillstand.
Doch der Ausnahmezustand hat auch Positives bewirkt. Das Homeoffice und die damit einhergehenden Technologien haben einen beispiellosen Schub nach vorne erlebt.
Was vor der Pandemie undenkbar war, ist zur Normalität geworden: Arbeiten von zu Hause aus.
Remote kommunizieren, führen und planen – all das funktioniert mittlerweile so gut, dass viele gar nicht mehr zurück an den Arbeitsplatz möchten und sich zumindest für ein Hybridmodell entscheiden.
Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, hat sich das Homeoffice in Deutschland auch nach der Covid-19-Pandemie etabliert. 23,5 % aller Erwerbstätigen waren im Jahr 2023 zumindest gelegentlich im Homeoffice tätig, womit der Homeoffice-Anteil in Deutschland leicht über dem EU-Durchschnitt liegt.
Das COVID19-Virus ist gebannt, erste Kinderkrankheiten neuer Arbeitsmodelle sind überwunden, doch da taucht eine neue Gefahr auf: Proximity Bias.
Was ist der Proximity Bias?
Unser Gehirn verarbeitet über 10 Millionen Sinneseindrücke pro Sekunde, von denen wir jedoch nur etwa 40 bewusst wahrnehmen. Deshalb entstehen beim Wahrnehmen, Denken oder Urteilen oft „mentale Abkürzungen“ und Fehler – diese werden als Bias oder Verzerrungen bezeichnet. Verzerrungen finden meistens unbewusst statt und kaum jemand ist davon befreit.
Der sogenannte Proximity Bias zählt zu den unbewussten kognitiven Verzerrungen. Bei dieser Urteilsverzerrung bevorzugen wir Personen, die uns räumlich näher sind.
Übertragen auf das hybride Arbeiten ist der Proximity Bias ursächlich für die Fehleinschätzung, dass Mitarbeitende im Büro eine bessere Arbeitsleistung bringen als die Kollegen und Kolleginnen im Homeoffice. Letztere geraten daher tendenziell schneller in Vergessenheit.
Warum spielt der Proximity Bias überhaupt eine Rolle?
Hybrides Arbeiten gilt als Arbeitsmodell der Zukunft. Dabei arbeiten die Mitarbeitenden zum Teil vor Ort im Unternehmen, aber auch von zu Hause aus (Homeoffice) oder von unterwegs, zum Beispiel im Zug, im Hotel oder am Flughafen (mobiles Arbeiten).
Die klassische Präsenzkultur, wie wir sie von früher kennen, ist jedoch oft noch fest in den Köpfen der Führungskräfte verankert. Unter dem Einfluss des Proximity Bias kommt es nun zu der irrigen Annahme, dass Mitarbeitende bessere Arbeit leisten, wenn sie vor Ort sind.
Der Proximity Bias ist also eine Nebenerscheinung moderner Arbeitsmodelle, mit der wir vor COVID19 eher selten konfrontiert waren.
Welche Folgen hat der Proximity Bias?
Mitarbeitende, die physisch näher (präsenter) sind, werden als produktiver wahrgenommen. Sie werden häufiger gesehen und bleiben Vorgesetzten deshalb besser in Erinnerung.
Diese Verzerrung kann dazu führen, dass Mitarbeitende vor Ort anders behandelt werden als die im Homeoffice oder mobil Arbeitende. So wird Mitarbeitenden im Homeoffice mitunter weniger zugetraut, ihnen wird weniger Verantwortung übertragen oder sie werden komplett von neuen Aufgaben oder Projekten ausgeschlossen.
Studien zufolge werden Mitarbeitende, die ausschließlich im Homeoffice arbeiten, seltener befördert als diejenigen vor Ort.
In einem Interview mit der FAZ vom 22.02.2022 wird der Verhaltensökonom Dr. Prof. Matthias Sutter mit den Worten zitiert: „Es gibt eine sehr saubere Studie, in der gemessen wurde, dass die Mitarbeiter im Homeoffice mehr schaffen und auch etwas zufriedener sind. Es hat sich aber gezeigt, dass diese Mitarbeiter dann trotzdem seltener befördert werden. Es scheint zu gelten: Aus den Augen, aus dem Sinn. Dann schadet Homeoffice der Karriere.“
Dies wird von der Mehrheit der Beschäftigten ähnlich gesehen. Laut einer Umfrage zum Status des hybriden Arbeitens, die das Technologieunternehmen Owl Labs im Februar 2022 in Deutschland in Auftrag gab, sind 44 % der rund 2.000 Befragten davon überzeugt, dass Proximity Bias ein Thema an ihrem Arbeitsplatz ist.
Wie lässt sich eine Benachteiligung durch Verzerrung vermeiden?
Es steht außer Frage, dass die durch den Proximity Bias verursachte Benachteiligung von Mitarbeitenden ausgeräumt werden muss. Doch zunächst einmal geht es darum, dass Führungskräfte und Mitarbeitende sich das Phänomen der kognitiven Verzerrung überhaupt bewusst machen. Dies könnte in Form von Schulungen geschehen.
Es gibt aber noch weitere Maßnahmen, die Arbeitgeber und Beschäftigte ergreifen können:
Vorgesetzte sollten ab und zu selbst remote arbeiten, um ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Tools, Technologien oder Weiterbildungen erforderlich sind, um die Remote-Arbeit zu fördern, aber auch dafür, wie sie selbst von ihrem Umfeld wahrgenommen und behandelt werden, wenn sie nicht jeden Tag Präsenz vor Ort zeigen. Aus dieser Perspektive heraus können sie effektiver gegen den Proximity Bias vorgehen.
Bringen Sie sich als Mitarbeitende/r aktiver ein, um nicht übersehen zu werden. Handeln Sie transparent. Dazu empfiehlt es sich, Vorgesetzte regelmäßig über erledigte Aufgaben und Erfolge zu informieren und sie öfter auf cc zu setzen.
Auch gegenüber Kollegen und Kolleginnen sollten Sie zeigen, was Sie planen und was sie erledigt haben, z. B. mit einem kurzen Statusbericht per E-Mail oder einem Update in einem Tool für Zusammenarbeit.
Die Kaffeepause im Büro erfüllt berufliche wie soziale Zwecke und fördert Zusammenhalt und Gemeinschaftssinn. Wichtige Aspekte, die im Homeoffice untergehen. Etablieren Sie deshalb eine virtuelle Kaffeepause, um den Kontakt mit Vorgesetzten oder Kollegen und Kolleginnen aufrechtzuerhalten, mit denen Sie sonst weniger zu tun haben.
Stellen Sie sicher, dass Sie bei wichtigen Besprechungen nicht fehlen und dass Sie über die dafür benötigten technischen Voraussetzungen verfügen. Bringen Sie sich aktiv in virtuelle Meetings ein, und lassen Sie Ihre Kamera eingeschaltet.
After-Work-Veranstaltungen, Betriebsfeiern und Weihnachtsfeiern sind ideal, um den Kontakt zu Kollegen und Kolleginnen nicht abreißen zu lassen und nicht in der Anonymität unterzugehen.
Wenn Sie nur im Homeoffice arbeiten, lassen Sie sich ab und zu im Büro sehen oder entscheiden Sie sich für ein Hybridmodell.
Suchen Sie stärker als bisher das persönliche Gespräch mit Vorgesetzten, um sich über Ziele, Probleme, aber auch über Lösungen und Erfolge auszutauschen.
Fazit
Der Proximity Bias führt dazu, dass Mitarbeitende, die nicht ausschließlich vor Ort arbeiten, von Vorgesetzten weniger wahrgenommen werden. Wer nicht aktiv gegensteuert, läuft Gefahr, auch in Sachen Weiterentwicklung und Beförderung den Kürzeren zu ziehen.
Betroffene und Unternehmen sollten gezielt gegen die Auswirkungen des Proximity Bias vorgehen. Durch Schulungen lassen sich das Bewusstsein über kognitive Verzerrungen steigern und somit die Auswirkungen besser in den Griff bekommen. Indem sich Mitarbeitende aktiv in die Gemeinschaft einbringen und transparent kommunizieren und handeln, können sie dazu beitragen, nicht in Vergessenheit zu geraten.
Davon profitieren Mitarbeitende wie Unternehmen gleichermaßen – schließlich hat niemand etwas davon, wenn qualifizierte Talente zur Konkurrenz abwandern, weil sie sich übergangen fühlen.
Beate Flader war viele Jahre in der Personalberatung und im HR-Bereich tätig und hat zahlreiche Rekrutierungsprojekte begleitet. Als freiberufliche Übersetzerin und Lektorin unterstützt sie seit mehr als 20 Jahren Unternehmen im Bereich Übersetzungen und Softwarelokalisierung. Seit 2024 übersetzt Beate auch unsere Inhalte ins Deutsche und schreibt Blogs, Lebensläufe und Bewerbungsschreiben.
Beate hat einen Bachelor of Arts im Fachbereich Angewandte Fremdsprachen an der Université du Maine (Frankreich) absolviert und ist staatlich geprüfte und vereidigte Übersetzerin. Beate spricht Deutsch, Englisch und Französisch und lebt in München.

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